Löst diese mobile Schnellladestation das Infrastrukturproblem?
Die Anzahl der Elektroautos steigt, die Ladeinfrastruktur kommt kaum hinterher. Vor allem jenseits der Städte heißt es hier: suchen. Das Brandenburger Start-up me energy will dem Mangel an Ladepunkten entgegenwirken – mit einer mobilen Schnellladestation, die mit Bioethanol betrieben wird.
Michael Schmieder leitet ein großes mittelständisches Einrichtungshaus. Zum Service gehört, die Möbelstücke anzuliefern und aufzubauen. Eine Transporterflotte ist für Schmieders Firma also unabdinglich. Doch seit einiger Zeit lastet ein neuartiger Druck auf ihm: Alle Welt spricht von klimaneutralem Verkehr, von umweltfreundlichen Prozessen und darüber, welche Rolle Unternehmen dabei spielen. Schmieder ist klar: Er sollte besser früh als spät vorsorgen. Deshalb ersetzt er erste Verbrenner-Fahrzeuge mit Elektrowagen und plant bereits eine eigene Ladeinfrastruktur auf dem Firmengelände. Doch bevor der erste Spatenstich getan wird, muss er mehrere Anträge stellen, Monate – sogar Jahre – warten, bis alles abgesegnet über den Tisch der Behörden geht und die Straßen aufgebrochen, die Leitungen verlegt und die Ladestationen installiert sind. Alles lässt sich umsetzen. Das Vorhaben brennt allerdings ein großes Loch in die Unternehmenskasse und Michael Schmieder macht sich Gedanken darüber, ob sich die Investition auch rechnet. Was passiert beispielsweise, wenn er mehr Ladestrom benötigt, als er am Standort aus dem Stromnetz entnehmen kann oder er mal in Zukunft den Firmensitz verlegen möchte?
So oder so ähnlich stellt Alexander Trage, CMO von me energy, das Dilemma eines fiktiven Unternehmens vor, das eine klimaneutrale Flotte unterhalten und diese selbst mit Strom versorgen möchte. „Für solche Fälle haben wir die Lösung“, sagt der Hauptverantwortliche für das Marketing des Unternehmens aus Wildau, Brandenburg. Das Start-up ist der erste Anbieter und Betreiber von stromnetzunabhängigen und CO2-neutralen Schnellladestationen. Erzeugt wird der Strom aus Bioethanol – direkt in der Ladestation.
Das Elektroauto: Jeder will’s haben. Kaum jemand kann’s (schnell)laden.
„Im September 2021 wurden in Deutschland erstmals mehr E-Autos neu zugelassen als Dieselfahrzeuge“, sagt Trage. Tendenz: stark steigend. Damit verschärft sich jedoch das Problem um die mangelhafte Anzahl an Lademöglichkeiten, insbesondere der Schnellladepunkte. Vor allem jenseits der Stadtgebiete wird es für E-Auto-Fahrer schwieriger, die Batterie mit Strom zu füttern. Die Lösung von me energy ist eine mobile Schnellladestation, die aus etwa 2000 Liter Bioethanol Strom erzeugt.
„Uns geht es vor allem um das schnelle Laden“, erklärt der CMO. Dabei spricht er nicht von einigen Stunden, sondern gar von 15 bis 30 Minuten. So sollen innerhalb von wenigen Minuten je nach Fahrzeug bereits 200 km Reichweite – oder mehr – geladen sein. Die meisten Ladesäulen in Deutschland füllen den Akku eines durchschnittlichen E-Autos mit ihren 11-22 kW in zwei bis acht Stunden. An Schnelladesäulen mit mehr als 50 kW sind 80 % Batteriestand in 30-45 Minuten drin. Voraussetzung ist hier jedoch, dass das Stromnetz diese Menge auch zur Verfügung stellen kann. Die Ladestation von me energy lädt mit bis zu 150 kW und ist von der Auslastung des Stromnetzes unabhängig. Zum Vergleich: So viel Strom benötigt eine Siedlung von 50 Haushalten bei maximaler Auslastung – Waschmaschine an, Mikrowelle an, Fernseher, Computer etc. Wegen dieses hohen Energiebedarfs ist es auch so eine große Herausforderung, eine größere Menge an Schnellladesäulen zu installieren. „Deshalb haben wir geschaut, wie wir den Strom selbst erzeugen und an die entlegensten Orte bringen können“, erzählt Trage. Alles, was dazu nötig ist, ist ein für einen mittelgroßen LKW zugänglicher Einsatzort unter freiem Himmel und die mobile Ladestation, der sogenannte Rapid Charger 150. Dieser ist etwas kleiner als eine Parklücke und 2,4 m hoch.
Einfache Inbetriebnahme und Nutzung
Die „Installation“ ist unkompliziert: Ein LKW liefert die Station an. Sie ist sofort einsatzbereit. „Momentan kann man mit einem Rapid Charger zwei Fahrzeuge gleichzeitig aufladen, eins an jeder Seite“, erklärt Trage. So einfach wie die Station in Betrieb genommen wird, lässt sie sich auch auffüllen oder abtransportieren. Mit einer Füllung sind durchschnittlich 100 bis 200 vollständige Ladeprozesse möglich, je nach Fassungsvermögen der jeweiligen Autobatterien.
Warum Bioethanol?
„Elektromobilität macht ja nur Sinn, wenn wir zu einer CO2-Einsparung kommen“, sagt Trage. Als Energieträger fiel die Wahl deshalb auf Bioethanol. Wegen seiner flüssigen Form ist es nicht nur leicht transportierbar und weist gleichzeitig eine gute Lagerfähigkeit auf. Um die Rapid Charger zu befüllen, musste nichts Neues entwickelt werden, sagt Trage: „Die Handhabung von flüssigen Energieträgern haben wir vor 150 Jahren gelernt. Die Logistik und Infrastruktur ist bereits vorhanden. Wir nutzen also Bestehendes, um Strom zu den Autos zu bringen – und zwar überall.“ Doch das Wichtigste bleibt, dass die Rapid Charger 150 durch das Bioethanol CO2-neutral sind. Denn Bioethanol wird aus Pflanzenreststoffen hergestellt. Im Inneren der Schnellladestation arbeitet ein spezielles Aggregat, das den Alkohol verbrennt und so den Ladestrom erzeugt. Es wird also nur die Menge CO2 freigesetzt, die die Pflanzen beim Heranwachsen aus der Atmosphäre gespeichert haben. „Damit liegen wir deutlich unter dem CO2-Durchschnitt des Strommixes im deutschen Stromnetz“, ergänzt Trage.
Die Hauptzielgruppe ihrer Anlagen sieht me energy bei Flottenbetreibern, Logistikern und Tankstellen. Denn statt in eine kostspielige Ladeinfrastruktur zu investieren, können diese die Rapid Charger auch einfach mieten. „Da es sich hier um ein mobiles Wirtschaftsgut handelt, ist es leasingfähig“, erklärt CMO Trage einen weiteren Vorteil, der diesen Schnelllader von netzgebundenen Ladelösungen unterscheidet. Derzeit arbeitet das Unternehmen daran, die Schallemission der Schnellladestation so zu verringern, dass sie gut in Wohngebieten eingesetzt werden kann. Zudem will es die Komponenten im Innenraum verkleinern, erzählt Trage. „Die Bauräume werden in jedem Falle kompakter.“ Der eingesparte Platz werde dann mit erweitertem Tankvolumen ausgefüllt.
Seit 2021 ist das Unternehmen mit dem Rapid Charger in Serienproduktion gegangen und plant, in den kommenden fünf Jahren bis zu 1000 stromnetzunabhängige Ladestationen auszuliefern – nach überall.