Wenn Stroh und Agrarabfälle im Tank landen
Biokraftstoff wird in Deutschland und Europa immer beliebter. Umso wichtiger ist es, dass andere Ressourcen als Lebensmittel für die Herstellung verwendet werden. Bislang war das jedoch viel zu teuer. Doch nun ist es so weit: Die ersten Lignocellulose-Bioraffinerien sind wirtschaftlich.
Bioethanol, Biodiesel und Co. sind in Deutschland zunehmend im Trend: Im Vergleich zum Vorjahr stieg 2020 die Gesamtmenge der Biokraftstoffe um satte 36 Prozent und erreichten damit seit der Quotenanrechnung (siehe Biokraftstoffquotengesetz) einen neuen Höchststand. Klar, dass sich dadurch auch die Menge an Ausgangsstoffen erhöhte. Seit Langem wird viel über die verwendeten Ressourcen bei der Produktion diskutiert. Kritiker fürchten, dass Nahrungsmittel wie Mais und Getreide auch in Deutschland statt auf dem Teller im Tank landen könnten. Doch diesem Szenario widersprechen die aktuellen Zahlen. Laut dem Evaluationsbericht der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung waren die wichtigsten Ressourcen aus Europa für Biokraftstoffe alles andere als Lebensmittel – es waren Abfälle und Reststoffe. Die Anteile von Mais und Raps haben sich hingegen um elf und zehn Prozent verringert. In Deutschland sank der Raps-Anteil sogar um 17 Prozent und der der Abfälle stieg um 37 Prozent.
Aber Abfälle als Zutat für Sprit? Was zunächst eigenartig klingt, wird seit vielen Jahren von Instituten und Wirtschaftsunternehmen erforscht und vom Bund gefördert. Mit Erfolg, denn mittlerweile gibt es erste kommerzielle Bioraffinerien, die aus Stroh, Agrarabfällen und Speiseresten Biokraftstoffe herstellen. Sogar aus nicht biologisch abbaubaren Ressourcen kann mittlerweile unter anderem Ethanol produziert werden, wie ein Werk in Edmonton, Kanada, seit 2016 beweist.
Bis ins Molekül: keine Reste bei modernen Bioraffinerien
In Deutschland beschäftigt sich etwa das IGB Fraunhofer Institut mit der Aufspaltung von Lignocellulose in Holz und war mit seiner Testanlage 2017 so weit fortgeschritten, dass es wirtschaftlich wurde. Denn das war lange Zeit der Knackpunkt an so genannten fortschrittlichen Kraftstoffen: die Prozesse, um die notwendigen Bestandteile aus den Rohstoffen zu trennen, waren langwierig und teuer. Die Anlage des Instituts setzt primär auf Buchenholz, genauer gesagt auf gehäckselte Holzreste aus der Industrie. Das hat zahlreiche Vorteile. Die Buche ist eine in Deutschland heimische Baumart und nimmt etwa 30 Prozent der hiesigen Waldbestände ein. Die Rohstoffe müssen also weder teuer eingekauft werden noch lange Transportwege auf sich nehmen.
Das besonders schwierige an Holz ist in der Regel das enthaltene Lignin aufzuspalten. Das sind feste Bestandteile, die in der pflanzlichen Zellwand eingelagert werden und die Zelle so verholzen. Sie machen bis zu 30 Prozent der Holzpflanze aus. Doch bei Laubbäumen wie der Buche ist der Anteil geringer. Heutige Anlagen können Buchenholz vollständig in seine Bestandteile aufbrechen und verarbeiten. Selbst dabei entstehende Nebenprodukte werden sinnvoll weiterverwendet. So kann das unter Hitze extrahierte Lignin zum Beispiel Erdöl in Kunststoffen ersetzen oder als Energieträger genutzt werden. Dass durch die Verwendung von Holzresten kein Wettbewerb mit der Zellstoff- und Holzwerkstoffindustrie besteht, ist ein weiterer Vorteil.
Seit 2012 wandelt der Chemiekonzern Clariant im bayrischen Straubing Stroh in einer Demonstrationsanlage zu Bioethanol um. Ausgangsstoff ist hier hauptsächlich lignocellulosehaltiges Weizenstroh neben weiteren Agrarabfällen. Das Stroh wird hier geschreddert, die Pflanzenfasern in ihre Komponenten aufgeschlossen und enzymatisch zu Zuckermolekülen umgewandelt. Anschließend wird der Zucker gegärt – und es entsteht Bioethanol, der ohne Weiteres herkömmlichem Benzin beigemischt werden kann. Im Vergleich zu fossilem Benzin spart diese Herstellungsweise 95 Prozent CO2 ein. Laut dem Deutschen Biomasseforschungszentrum entspricht eine Tonne Frischmasse Stroh 330 Litern Bioethanol-Kraftstoff mit weiteren Nebenprodukten wie Ligninpellets und Methan.
Stroh-Großanlage spart bis zu zwölf Prozent CO2 ein
Im Jahr 2018 folgte dann der Spatenstich für eine Großanlage im Südosten Rumäniens, die im Oktober 2021 fertiggestellt wurde. Sie soll bis zu 50.000 Tonnen Zellulose-Ethanol im Jahr produzieren. Das Stroh stammt von Landwirten in der Region. Weil das Lignin hier auch zur Energiegewinnung verwendet wird, ist der Standort energieautark und spart bis zu 120 Prozent CO2 ein. Gemeinsam mit dem Automobilhersteller Mercedes-Benz wurde dieser Kraftstoff als Super-E20-Gemisch bei Service-Fahrzeugen getestet. Die Marke Frosch ersetzte fossiles Ethanol bei Putzmitteln testweise durch das in Rumänien gewonnene Zellulose-Ethanol.
Obwohl einige Anlagen bereits so weit fortgeschritten sind, dass die Betreiber von einer fast vollkommenen Kreislaufwirtschaft sprechen, bleibt immer noch Potenzial übrig, das es auszuschöpfen gilt. Sie befinden sich grundsätzlich stets in der Entwicklung und werden kontinuierlich optimiert. Sei es eine Ausweitung der Ausgangsstoffe, Energieeinsparung oder weitere Anwendungsbereiche für die Nebenprodukte. Doch die Entwicklung kann nur dann voranschreiten, wenn die Gesellschaft den Stellenwert von Biokraftstoffen erkennt und auch die Regierung die Forschung unterstützt.