Warum selbst die USA klimafreundlicher tanken als wir
Der in Deutschland noch immer unbeliebte Kraftstoff E10 ist jenseits der Landesgrenzen ungewohnt erfolgreich. Spitzenreiter sind die USA und Brasilien. Wenn es um klimafreundliches Tanken geht, können wir uns noch einiges abschauen.
Hummer H2, Muscle Cars und „Pimp my Ride“ – das sind wohl die klassischen Assoziationen, wenn jemand an Autos in Nordamerika denkt. Kaum einer würde dabei denken, dass die USA Deutschland in Sachen Dekarbonisierung und Verkehr etwas voraushaben. Oder wussten Sie, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten bereits seit fast 50 Jahren Super E10 getankt wird?
Entsprechend erfahren sind die US-Amerikaner in der Herstellung von Bioethanol: Mit rund 2.000 Produktionsanlagen, die im Jahr bis zu 51 Millionen Tonnen Bioethanol aus Mais herstellen, sind die USA Weltmarktführer und größter Hersteller des erneuerbaren Kraftstoffzusatzes. Nach der Ölpreiskrise 1973 wollten die Staaten durch die Beimischung von Bioethanol in den Ottokraftstoff ein Stück Unabhängigkeit von den großen Ölmogulen im Nahen Osten erreichen – mit Erfolg: 2019 haben die USA auf diese Weise rund 559 Millionen Barrel (etwa 8,8 Milliarden Liter) an Erdöl ersetzt. Das geht aus dem Jahresbericht 2020 der Renewable Fuels Association (RFA) hervor.
USA und Brasilien setzen auf mehr Prozent
Obwohl der Name Super E10 suggeriert, dass zehn Volumenprozent Bioethanol beigemischt sind, liegt der Anteil häufig weit darunter. In den USA hingegen lag der Anteil des US-E10 im Jahr 2017 bei durchschnittlich zehn Prozent. Für die guten Zahlen sorgt unter anderem eine starke Bioethanol-Lobby, die bereits seit 2009 dafür einsteht, den Ethanolgehalt auf 15 Prozent zu erhöhen. Erst zehn Jahre später war sie damit erfolgreich: Die US-Umweltbehörde EPA hat den flächendeckenden Verkauf von E15 an der Tankstelle durchgewinkt.
Weiter südlich – nämlich in Brasilien – hat das Land die Zehn-Prozent-Hürde einfach übersprungen und fing nach der Ölpreiskrise direkt mit reinem Bioethanol als Kraftstoff an. Mit dem Ziel, das Land unabhängig von Ölimporten zu machen und dabei gleichzeitig die heimische Wirtschaft zu stärken, rief die Regierung das staatliche Förderungsprogramm „proalcool“ ins Leben. Anders als in den USA produziert Brasilien seinen Bioethanol nicht aus Mais, sondern aus Zuckerrohr. Selbst für Benziner etablierte sich in den 80ern eine flexible Beimischungsquote, die die Regierung abhängig vom Zuckermarkt regulierte. 2007 schrieb das Land per Exekutivdekret eine Quote von 25 Prozent Bioethanol im Benzin vor, vier Jahre später stieg der Satz landesweit auf mindestens 27 Prozent Bioethanol, niedrigere Kraftstoffe gibt es nicht.
Seit 2003 hat sich auch die Automobilindustrie vollständig auf den variierenden Alkoholanteil eingestellt und die Motoren angepasst. Alle internationalen Autohersteller vertreiben auf dem brasilianischen Markt sogenannte Flex Fuel Vehicle (FFV). Diese können mit jeglicher Ethanol-Benzin-Mischung von null bis 85 Prozent betrieben werden. Sensoren im Motor ermitteln den aktuellen Alkoholgehalt des Kraftstoffes und passen dann zum Beispiel die Bewegung der Zylinder an. Bereits 2009 lag der Anteil von Neuwagen dieser Art bei 90 Prozent, 2014 waren rund 90 Prozent aller Autos in Brasilien mit Flex Fuels ausgestattet. Diese können sogar das in Brasilien ebenfalls verbreitete E85 tanken.
Die Produktionsbedingungen von Ethanol sind weltweit sehr unterschiedlich
Dass mit der massenhaften Produktion von Ethanol – gerade in Brasilien und den USA – durchaus auch Probleme entstehen soll an dieser Stelle nicht verheimlicht werden. Den Unterschied zwischen der EU und anderen Regionen werden wir aber an anderer Stelle ausführlich erläutern. Einen ersten Einblick gibt es hier: Mythbusting von der Produktion bis zum Verbrauch – #UMTANKEN
Fallbeispiele erfolgreicher E10-Einführung in der EU
Wer nun glaubt, man müsste den Kontinent wechseln, um E10 zu tanken, irrt. E10 ist in Europa verbreiteter, als viele denken. Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Luxemburg und Rumänien verkaufen den Sprit flächendeckend und wesentlich erfolgreicher als es in der Automobilnation Deutschland der Fall ist. Laut ePure, dem europäischen Verband der Bioethanolwirtschaft, haben besonders Länder, die ohnehin nur zwei Spritsorten an den Tankstellen anbieten, das Super 95-Äquivalent komplett durch E10 ersetzt. Darunter fallen etwa Belgien und Rumänien. Gesetzlich sind die EU-Mitgliedsstaaten nicht mehr dazu verpflichtet, Super 95 anzubieten. Sollte ein Mitglied es jedoch für notwendig erachten, kann eine Premiumsorte mit bis zu fünf Prozent Bioethanol vertrieben werden.
Finnland hat im gleichen Jahr wie Deutschland Super E10 eingeführt und ersetzte damit Super 95. Nach sechs Jahren erreichte E10 in Finnland einen Marktanteil von 68 Prozent. Belgien erreichte einen höheren Wert in gerade einmal einem Jahr: Das Land nahm Super 95 erst 2017 vom Markt und erreichte bis Jahresende einen Marktanteil von 78,5 Prozent. In Deutschland bleibt er bis heute unterhalb der 15-Prozentmarke (Marktdaten 2020, BDBe).
Als größter Bioethanolhersteller in Europa hat Frankreich laut ePure eine Produktionskapazität von 2.260 Millionen Litern. Und die braucht es auch, denn seit 2009 gibt es an französischen Tankstellen nicht nur Super 95-E10, sondern auch Superéthanol E85, also Benzin mit einem Alkoholgehalt von bis zu 85 Prozent. Im September 2018 war dort E10 die meistverkaufte Benzinsorte mit einem Marktanteil von 42,7 Prozent.
Geringer Steuersatz und Informationen
Den Erfolg von E10 in den genannten Staaten verbinden zwei Gemeinsamkeiten: Der Steuersatz ist gering und es gibt keine Konkurrenz zwischen den Kraftstoffen. Laut dem Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe) machen Steuern 50 Prozent und mehr des Kraftstoffpreises an der Zapfsäule aus. Lediglich der Steuersatz kann den Literpreis von E10 im Vergleich zu Super 95-E5 erhöhen. In Belgien, Finnland und Frankreich belohnt ein Steuersystem sozusagen den umweltfreundlichen Gedanken hinter Super E10. Hier zeigt die Erfahrung, dass die Differenz von einigen Cents pro Liter ausreicht, damit die Wahl des Autofahrers auf den Zapfhahn mit der Aufschrift „E10“ fällt und nicht auf das altbekannte E5. Außer eben in Deutschland. Warum?
Die Schuld darin sieht ePure vor allem in der Art und Weise, wie E10 damals eingeführt wurde: schrittweise und lediglich als Alternative zu den damaligen Bestandskraftstoffen. Von keiner Seite wurde eine eindeutige Empfehlung ausgesprochen. Die Medien zogen über den neuen Kraftstoff her, weil selbst Studien einander widersprachen. Dadurch sei ein unnötiger Wettbewerb zwischen den Kraftstoffen entstanden, der nicht nur das Vertrauen der Verbraucher untergrub, sondern als Folge den Klimazielen der Europäischen Union im Wege stand. Während andere Staaten von Beginn der Einführung an ihre Bürger umfassend über die Vorteile informiert hatten und zentral Listen der E10-verträglichen Fahrzeuge veröffentlichten, ergab eine Umfrage des ADAC zehn Jahre nach der Einführung von E10 ein ernüchterndes Ergebnis: Etwa jeder zweite Benziner-Fahrer weiß nicht, ob sein Auto überhaupt E10 verträgt.
Längst ist sich die Forschung sicher: Mehr als 95 Prozent der Benziner in Deutschland vertragen E10. Seit 2015 ist E10 auch der Referenzkraftstoff für alle Benziner, die mit 95 Oktan fahren. Das bedeutet, der Motor ist auf E10 eingestellt und ist damit deutlich effizienter als vorher. Der Kraftstoff spart zudem Kohlendioxid ein und bläst im Vergleich zu Super 95-E5 etwa 25 Prozent weniger Stickoxid und bis zu 70 Prozent weniger Feinstaub in die Umwelt. Würden mehr Länder dem Beispiel von Finnland, Belgien und Frankreich folgen, käme die EU ihren Klimazielen mit Leichtigkeit wesentlich näher.