Biokraftstoffe: Keine Konkurrenz zu Lebensmitteln

Warum Bioethanol und Co. nicht als Sündenböcke taugen

Energiepflanzen wie Weizen, Mais und Zuckerrüben können viel mehr als ihr Name vermuten lässt. In den vergangenen Jahren hat sich beispielsweise die Biokraftstoffherstellung in einen Kreislauf eingefügt. Dieser ernährt Mensch und Tier – und füllt sogar den Autotank.

Biokraftstoffe hatten in den letzten Jahren ein Imageproblem. Selbst hochrangige Politiker wie der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel behaupteten, der Anbau von Pflanzen zur Produktion von „Biosprit“ würde die Lebensmittelpreise steigen lassen – und damit gar den Hunger in der Welt anheizen. Vor allem Bioethanol wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Dabei wird in Deutschland wesentlich weniger davon hergestellt als von Biodiesel. Ein medienwirksamer Sündenbock, aber einer, dem die Fakten widersprechen.

Politische und wirtschaftliche Einflüsse

Die Menschen konsumieren mehr. Niederschläge bleiben aus und eine Dürreperiode folgt auf die andere. Hinzu kommen Kriege, politische Konflikte und wirtschaftliche Sanktionen: Nur einige der zahlreichen Faktoren, die den Preis einzelner Nahrungsmittel beeinflussen. Der Gießener Professor für Agrar- und Entwicklungspolitik, Dr. Michael Schmitz, hat all dies schon 2013 in einer Studie berücksichtigt und die Auswirkungen bis ins Jahr 2020 simuliert. Das Ergebnis: Preisanstiege bei Lebensmitteln haben kaum etwas mit der erhöhten Nachfrage nach Biokraftstoffen zu tun. Vielmehr führen heimische Verhältnisse in zahlreichen Entwicklungsländern zu Armut und Hunger.

Exkurs: Nahrungsmittelpreiskrise und überteuerte Tortillas

Erinnern Sie sich an den Anfang der Corona-Pandemie? An die Hamsterkäufe? Tausende Menschen hatten sich mit Unmengen von Toilettenpapier und Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Zucker und diversen Fertiggerichten eingedeckt. Die Versorgung wurde knapp, die Preise stiegen merklich.

Wesentlich schlimmer war es 2008 vielen Ländern der Welt ergangen – mindestens 75 Millionen Menschen hatten mit ganz realer Hungersnot zu kämpfen. In mehr als 60 Ländern kam es zu politischen Unruhen, teilweise blutigen. Denn innerhalb kürzester Zeit waren gleich mehrere Hauptnahrungsmittel weltweit rasant teurer geworden: Weizen, Mais, Reis und Sojabohnen.

Auch die sogenannte Tortilla-Krise in Mexiko hat hier ihren Ursprung. Sie zeigt, wie komplex die Verhältnisse sind, die zu Preissteigerungen von Lebensmitteln führen. Damals hatte es den Anschein, die gerade angekurbelte Bioethanolherstellung in den Vereinigten Staaten sei für das Leid der Mexikaner verantwortlich, die sich bald kaum noch ihr Essen leisten konnten. Denn die USA verarbeitet hauptsächlich Mais zu Ethanol. Ende 2006 war der Preis für das mexikanische Fladenbrot Tortilla um 25 Prozent gestiegen und bis 2011 um weitere 69 Prozent.

Doch die Verarbeitung der Maismassen war lediglich ein winziges Glied in einer langen Kette einander beeinflussender Faktoren. Ungünstige Wetterverhältnisse und daraus resultierende geringere Erträge waren die maßgeblichen Ursachen, hinzu kamen die damals steigende Größe der Weltbevölkerung und der erhöhte Ernährungsbedarf. Auch war der Dollar damals sehr schwach, Öl wurde teurer und Nahrungsmittelspekulationen verschlimmerten die Situation am Weltmarkt zusätzlich. Bei Nahrungsmittelspekulationen schließen Menschen auf dem Rohstoffmarkt Wetten ab, ob ein Rohstoffpreis in der Zukunft sinkt oder fällt, in der Hoffnung, daraus Gewinne zu erzielen. Mittlerweile betonen mehrere namhafte Studien die Zusammenhänge von Nahrungsmittelspekulationen und Hungerkrisen in zahlreichen armen Ländern, etwa von Oxfam, der Welthungerhilfe und der Weltbank.

Tatsächliche Werte aus dem Jahr 2014 bestätigen Schmitz‘ These. Mehrfach gute Getreideerträge führten zu einem sinkenden Lebensmittelpreisindex. Und das, obwohl zur gleichen Zeit mit 65 Millionen Tonnen so viel Biokraftstoff produziert wurde, wie noch nie zuvor. Vermehrter Anbau und gestiegene Nachfrage führten in diesem Fall also nicht zu einer Lebensmittelpreissteigerung. Das beweisen Zahlen der UN-Ernährungsorganisation (FAO), die regelmäßig Schwankungen der fünf Warenbereiche Fleisch, Molkereiprodukte, Getreide, Pflanzenöle und Zucker dokumentiert. Laut der Agentur für Erneuerbare Energie (AEE) waren vielmehr Börsenspekulationen und gleichzeitige Ernteausfälle im Jahr 2008 ausschlaggebend für erhebliche Preissteigerungen in Schwellenländern – selbst Jahre später. Im ähnlichen Muster wiederholen sich diese Zusammenhänge. Jüngst hatte die Corona-Pandemie dramatische Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise weltweit.

Große Entwicklungsschritte in der Verarbeitung

Auch hat sich ein weiterer Irrglaube fest verankert: Der Biokraftstoffproduktion würden wertvolle Nahrungsmittelressourcen zum Opfer fallen und es entstünde eine Menge Abfall, heißt es. Tatsächlich hat sich aber in den vergangenen Jahren viel getan. Seit einigen Jahren wird an sogenannten fortschrittlichen Bioethanolen geforscht, diese werden in Generationen unterteilt.

  • Bioethanol der 1. Generation wird nur aus der Frucht der Pflanzen hergestellt.
  • Für Bioethanol der 2. Generation wird von der Spitze bis zur Wurzel nahezu die gesamte Pflanze verarbeitet (sogenannte Reststoffe). Einschließlich der schwerzugänglichen Zellulose. Es kann also mehr Energie aus der gleichen Menge Ackerfläche gewonnen werden. Zudem verwenden Unternehmen bei der Bioethanolproduktion inzwischen verstärkt organische Abfälle wie Stroh, Holzreste, minderwertiges Holz und Abfälle aus der Agrarwirtschaft.
  • Seit einigen Jahren beschäftigen sich Forscher auch damit, wie Ethanol aus verschiedenen Algenarten hergestellt werden kann. Mithilfe von Bakterien kann zum Beispiel aus Grünalgen Zucker hergestellt werden und dieser wiederum zu Alkohol. Diese sind Rohstoffe der 3. Generation.

Über die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) wird seit 2010 reguliert, wie hoch der Anteil von Energien aus erneuerbaren Quellen für alle Mitgliedsstaaten der EU sein darf. In der RED II von 2019 wurde dieser auf maximal sieben Prozent begrenzt. Dadurch treten sie nicht mit landwirtschaftlichen Nutzflächen für Nahrungs- (22 %) und Futtermittel (60 %) in Konkurrenz. Derzeit liegt der Anteil von Energiepflanzen bei 14 Prozent, gerade einmal 2,8 Prozent der Gesamtackerfläche sind für den Anbau von Rohstoffen für Bioethanol vorgesehen (2017 waren dies 0,32 Millionen Hektar Land der insgesamt 11,8 Millionen Hektar Ackerfläche). Zwei Prozent der Ackerflächen liegen brach oder wurden stillgelegt. Diese werden allerdings nach und nach für Energiepflanzen genutzt. Klar zu trennen sind hier die Ausgangsstoffe von zum Beispiel Biodiesel, der vorwiegend aus Raps und Soja gewonnen wird, und Bioethanol, der zum Großteil aus Futtergetreide hergestellt wird, die aus Qualitätsgründen nicht für Lebensmittel verwendet werden. Somit hat die Bioethanolproduktion in Europa keinen Einfluss auf die Produktion dergleichen in Brasilien, die damit zusammenhängende Waldrodung oder die indirekte Landnutzungsänderung (iLUC).

Gerade einmal 2,8 Prozent der Gesamtackerfläche ist für den Anbau von Rohstoffen für die Bioethanolherstellung vorgesehen.

Weiter wird das Potenzial der Landflächen ausgeschöpft, indem Landwirte die sogenannte Fruchtfolge einhalten. Diese soll die Bodenfruchtbarkeit nachhaltig erneuern und erhalten, indem vorab geplant wird, in welchem Jahr welche Pflanze gesät wird. Dadurch werden weniger Düngemittel benutzt und Anbaupausen werden mit wechselnden Erträgen überbrückt. Die empfohlene Pausenzeit für Weizen beispielsweise beträgt zwei bis drei Jahre. Bauen Landwirte aber beispielsweise erst Mais, dann Weizen und schließlich Sommergerste an, wird Jahr für Jahr eine Ernte garantiert, ohne den Boden überzustrapazieren.

Rund 60 Prozent der Anbaufläche wird für Futtermittel verwendet. Diese sind wiederum für die Biokraftstoffherstellung relevant. Ressourcen also, die gar nicht für den Menschen bestimmt sind. Doch auch hier ist deshalb nicht mit Knappheit zu rechnen. Denn bei der Herstellung von Biokraftstoffen entstehen Nebenprodukte wie zahlreiche eiweißhaltige Futtermittel, die für Tiernahrung gebraucht werden. Sie dienen also indirekt der Lebensmittelversorgung, da sie die Produktion von Milch, Eiern und Fleisch garantieren und vermindern zugleich Futtermittelimporte. So werden bei einer Tonne Bioethanol zusätzlich etwa eine Tonne Proteinfutter und andere Stoffe wie CO2 produziert. In Europa werden hierfür Rohstoffe verwendet, die zu 99 Prozent aus europäischem Anbau stammen und somit streng kontrolliert und zertifiziert sind. Das bei der Verarbeitung entstandene Kohlendioxid wird gesammelt und beispielsweise an die Getränkeindustrie weitergegeben.

Es wird also deutlich: Die Bioethanolproduktion kann nicht als Sündenbock für steigende Lebensmittelpreise herangezogen werden. Auch führt sie nicht zu einer Flächennutzungskonkurrenz zwischen Nahrungs- und Energiepflanzen. Gerade durch technische Fortschritte und die Nutzung von sogenannten degradierten Flächen sowie limitierende Gesetze ist die Lebensmittelversorgung in Deutschland gesichert.

Ähnliche Artikel